WHY DO YOU TRAVEL? VOM REISEN UND BLEIBEN.


Why do you travel, fragte ich meine beste Freundin. Wenige Zeit später hatte ich einen wundervollen, spontanen Reise-Essay in meinem E-Mail-Postfach. Einiges konnte ich nachvollziehen, verstehen, andere Zeilen warfen bei mir selbst Fragen auf, die ich beantworten wollte:

Why do I travel? 

Da ist zunächst mal das Neue, die unbekannten Reize. Ich stürze mich gerne in unbekannte Länder, in Sprachen, die ich nur verstehe, wenn der Gegenüber wirklich sehr langsam spricht oder wenn er mit den Händen und Füßen zeigt und erklärt. Ich stürze mich auch gerne in eine neue Umgebung, die mich manchmal richtiggehend aufwühlt (Kuba) und manchmal einfach nur entspannt (Irland), die mich dazu auffordert, ein bunteres Leben zu führen (Mexiko) oder mehr Roadtrips und mehr Fotos zu machen (Portugal). Wenn man reist oder in einem anderen Land lebt, kommen die Reize und das Neue von ganz alleine auf einen zu. Ich genieße das immer auf Reisen: Dublin beispielsweise überrollt mich jedes Mal mit Inspiration, denn sobald das Flugzeug in den irischen Luftraum fliegt, fallen Worte in meinem Kopf ein und wollen niedergeschrieben werden. Ich notiere mir alles in ein Reisetagebuch und später werden daraus Krokodilgeschichten, die in Kuba's Hauptstadt spielen, oder Geschichten, in der das Ende einer Beziehung mit dem Verschwinden einer großen Summe Geld und das Erwachen in Dublin eine Rolle spielt.
Das Reisen treibt mich auch nach der Rückkehr noch an, kreativ zu sein, mich zu hinterfragen und das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten. Ich zehre davon monatelang. Aber hier spielt vielleicht tatsächlich das Zuhause-Sein eine besondere Rolle. Es ist die feste Basis, in der ich wirklich zur Ruhe kommen kann. Hier kann ich in mich hineinhören, hier verändern sich die neuen Impulse zu Ritualen oder dem alltäglichen Fortgang der Dinge und plötzlich hört man nur noch sich selbst und wird von außen nicht mehr abgelenkt.
Aber wen man nicht alles auf Reisen trifft! Da ist der Taxifahrer, der rote Ampeln und Vorfahrtsschilder in hohem Tempo missachtet, sich aber bekreuzigt, sobald er sein Taxi besteigt. Da sind die Freundinnen, die man beim Volleyballspielen kennenlernt, mit denen man sonntags zum Brunch geht und Samstag Abend eine DVD anschaut, um dem Getümmel der Stadt zu entgehen. Und nicht zuletzt ist da der Verlobte, mit dem man die einzigartigen Momente, die einem gemeinsam aus dem Alltag holen, teilen und in Erinnerung behalten kann. Das Reisen schweißt einen enger zusammen, man kann sich selten dabei ausweichen.

Es gibt aber auch einen Teil des Reisens, der mich vorsichtig werden lässt; nämlich dann, wenn ich davon höre, dass Menschen nur noch reisen können, dass sie nirgends ankommen und schon lange das Wort „Heimat“ gegen die Worte „Auf der Suche“ ausgetauscht haben.

Why I stay

Grundsätzlich ist es schwer, daheim das Außergewöhnliche zu finden. Man muss es oft suchen, es versteckt sich hinter der Alltäglichkeit. Aber es ist genauso sehenswert, redenswert, liebenswert. Im Ausland muss man auf Reize reagieren, in der gewohnten Umgebung muss man agieren, um sie zu finden. Manchmal ist das wirklich schwierig, mein erstes Jahr in Stuttgart fiel mir zum Beispiel besonders schwer. Bis ich nach und nach einen Freundeskreis aufbaute, hübsche Ecken fand, Spaziergänge im Wald lieben lernte.
Ich glaube, viele Reisende fühlen sich getrieben und auf der Suche nach etwas. Nach was? Nach dem perfekten Ort? Nach dem perfekten Lebensentwurf? Nach sich selbst? Ich finde es nicht schlimm, getrieben zu sein – so lange man sich nicht gehetzt fühlt, verfolgt fühlt, unruhig fühlt, so lange man nicht das Gefühl hat, man muss unbedingt weiterziehen, weil die Fragen im Kopf nicht aufhören: Vielleicht ist es dort noch besser? Noch aufregender? Ich fühle mich dort noch wohler? Es klingt dann ein bisschen wie die Geschichte vom grüneren Gras im Garten des Nachbarn.
Vielleicht findet man keinen perfekten Ort, aber man findet häufiger auf Reisen das, was einem perfekten Ort ziemlich nahe kommt. Ich glaube aber, weil man daheim eben erschafft und nicht nur reagiert, kann man Dinge kreieren, man passt sich nicht – wie auf Reisen – der Umgebung an, sondern passt seine Umgebung an die eigenen Vorstellungen und Ideale an. Und an die Idee vom perfekten Ort.

Weil man die Menschen daheim regelmäßiger und nicht ständig in einer Ausnahmesituation (sagen wir mal: das Reisen) kennenlernt, entsteht eine ganz andere Verbindung. Ich weiß nicht, ob man sagen kann sie sei intensiver oder tiefer, sie ist eben anders. Beständiger, wenn man das Wort einmal in Bestand, in Bestehen, in das Stehenbleiben umändert. Man verpasst sehr viel von dem, was daheim passiert. Die großen Entscheidungen mag man mitbekommen, aber all das, was auf dem Weg zu Entscheidung passiert, all die gemeinsamen Momente, über die man Jahre später noch lacht, bleiben auf der Strecke. Nach zweimal einem Jahr in Dublin wurde mir klar: ich konnte nicht jedes Mal ein riesen Abschiedsfest und eine große Willkommensparty erwarten, denn das Leben daheim ging ebenfalls weiter, war ebenfalls wichtig und interessant und ich nicht der einzige Mittelpunkt meines Freundeskreises. Wenn man lange weg ist, dann kratzt das an allen Beziehungen, die sich zwangsläufig in Fernbeziehungen verwandeln, denen man nicht immer das jeweilige Umfeld oder neue Freunde oder das Rauschen des Meeres vermitteln kann.

I travel and I stay.

Da ist also die Sehnsucht nach der Ferne, nach den Adrenalin-Momenten, aber auch genauso die Sehnsucht nach Nähe und nach Berechenbarkeiten. Ich habe mittlerweile auch viele Gründe, mich an einem Ort länger aufzuhalten, denn Verlobter und Hund machen es einem einfach. Dennoch kann man sich auch im Hier einsam fühlen, wenig inspiriert, wenig herausgefordert. Und dann muss ich etwas an meinem Umfeld ändern: Manchmal im Kleinen, in dem ich alte Möbel anmale und woanders hinstelle, manchmal im Größeren, wenn ich einen langen Backpacking-Trip plane oder noch größer, wenn ich nach und nach alle Pläne daraufhin auszurichte, für ein paar Jahre nach Irland auszuwandern. Ich reise, um mich von neuen Erfahrungen richtig durchschütteln zu lassen, so dass man die physischen und psychischen Auswirkungen auch noch Wochen und Monate nach der Reise spürt. Daheim verarbeite ich dann alle Erfahrungen.

Wie bei so vielen Themen lohnt sich vermutlich die Balance: wir müssen reisen, weiterziehen, Neues kennenlernen, Fremdes zu Eigen machen, damit wir wieder anhalten, innehalten und uns neu ausrichten können, agieren können, gestalten können. Freiheitsgefühl und Panik liegen manchmal nah beieinander, und dafür ist es egal, dort oder hier zu sein. Ich bleibe, dann reise ich.

Jennifer & Cindy
Why do you travel, fragte ich meine beste Freundin, als sie mit mir telefonierte. Sie stand in einer roten Telefonzelle in Bondi, Australien, ich saß auf dem kühlen Küchenboden in Stuttgart, Deutschland. Wir haben uns beide darüber viele Gedanken gemacht.

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