DIE KUNST DER ABLENKUNG - EIN GASTBEITRAG VON CINDY




Es ist das altbekannte Phänomen: sobald ich etwas machen muss, schießen meine Gedanken davon.



Oder, um es anders zu formulieren: sobald ich nicht kreativ sein darf sondern mich auf andere Sachen konzentrieren muss, kommen die Ideen. Das Verbotene reizt, schon immer. Und ich spreche von dem Rausch und der Dringlichkeit, etwas gestalten zu wollen. Nicht von dem breitgedehnten Wort "Kreativität am Arbeitsplatz".

Vielleicht geht das Schreiben alleine nicht. Ich glaube, es braucht Ablenkungen, um sich auszudehnen.

Einer dieser Ablenkungen – auch gleichzeitig das Lebensnährende – ist ein anderer Job. Hilft ein Job, der uns nicht ganz erfüllt, um kreativ zu sein? Braucht man das, um sich ständig nach Kreativität sehnen zu können und demzufolge den Wunsch ständig mit sich herum trägt, gestalten zu können? Ihn aufhebt, verwahrt, verstaut, bis die Kunst „darf“?
Es hilft auf jeden Fall, die Kunst wieder zu schätzen, sie auf den besonderen Sockel zu erheben. Und ein bisschen Sehnsucht hat noch nie geschadet, um Fernbeziehungen zu romantisieren oder Künste anzureichern. Diese Sehnsucht tritt bei mir meist in der Zeit ein, in der ich eigentlich anderes machen sollte.

Viele Schriftsteller haben noch andere Jobs. Hauptsächlich, um die Miete zahlen zu können, aber auch, um Erfahrungen aus Kanzleien und Kellnernächten in Geschichten einfließen lassen zu können.
Die arbeitende Tageshälfte kann tatsächlich helfen, sich in der zweiten Tageshälfte künstlerisch auszuleben. Der Job gibt dem Tag eine Routine, und nicht nur den langen leeren Tag, der hoffentlich mit Wörtern gefüllt wird. Das würde den Schreibtisch in die Mitte des Zimmers stellen, wie Stephen King in seinem Buch On Writing schrieb: „Life doesn't support your art. Your art supports life. ".
Ein Halbtagesjob, das wärs.
                                                                                           
Ob es Hemingway nun gesagt hat oder nicht, seine Arbeitsweise orientierte sich auf jeden Fall an dem Spruch "Write drunk, edit sober". Vorab sei gesagt: nicht jeder ist ein guter betrunkener Schreiber. Ich bin es nicht. Ich werde ein fauler Schreiber. Mit der steigenden Anzahl an Weinschlücken tippe ich lustloser und unkonzentrierter Wörter auf den Bildschirm.
Betrunkensein ist die eine Sache, aber das wichtige in diesem Satz ist, dass er etwas anderes macht während er schreibt. Alkohol stimuliert ihn. Andere Leute gehen spazieren. Arbeiten. Kaffeetrinken. Zugfahren. Wenn man nicht damit rechnet, kommen die Ideen. Und was wie eine Zauberformel klingt, überrascht mich tatsächlich immer wieder - wenn ich denke, es geht gar nicht mehr, kommt immer etwas Neues. Immer.
Wie sieht es mit der nüchternen Korrektur aus? Das ist dann Arbeit mit einem Flair von Kreativität. Dafür gönnte ich mir eine Woche Schreiburlaub. Die ersten Tage waren wunderbar. Es fühlte sich an, als würde ich jeden Tag ein Stückchen von der Literaturtorte essen: ich schrieb und korrigierte zwei Stunden lang, setzte mich dann hin und las verschiedene Bücher, um durch das Lesen neue Energie zum Schreiben zu gewinnen. Ich las Virginia Woolf‘s Writers Diary, Helen Garner‘s True Stories, ein paar Interviews auf The Paris Review. Nach ein paar Tagen wurde es schwerer. Ich durfte mich auf das Schreiben konzentrieren. Und trödelte ein bisschen rum, fragte mich, was genau ich hier gerade mache.
Für mich sind diese Momente - wenn sie mich erwischen und ich wie verrückt anfange, in meiner Tasche nach Notizblock und Stift zu kramen - die Sicherheit, nicht auf dem falschen Weg mit dem Schreiben zu sein. Oft werde ich unsicher. Tue ich nur so, als würde ich schreiben? Kann ich das? Alles, was ich weiß, ist, dass ich schon immer schreibe und bisher auch nicht aufhören wollte. Dass es mich erfüllt.
Denn es taucht immer wieder eine Idee auf, ein Satz, ein Titel. Scheinbar aus dem Nirgendwo. Und nur ich kann es platzieren: hier. Und in anderen Geschichten. Man muss nur Vertrauen haben. Deswegen liegt nun „A field guide to getting lost“ von Rebecca Solnit auf meinem Lesestapel.

Dann gibt es die anderen Personen: die sich mehr als 100% in ihre Aufgaben und in ihren Job stürzen, darin ganz aufgehen, sich voll konzentrieren und sich nicht ablenken lassen. Die schreiben können, wenn sie sich Schreibzeit nehmen. Die arbeiten können, wenn sie arbeiten sollen. Ich bewundere das sehr.

So bin ich wohl an diesen Gästeeintrag gekommen. Jen dreht gerade einen Film. Und ja, ich hätte eigentlich gerade etwas anderes machen sollen. Hat die Zusammenarbeit bei [Lautschrift] wegen dieser Kombination so gut geklappt? Sehr gut möglich. (Aber das ist ein anderes Thema für ein andermal: Wie wichtig es ist, eine Person im Leben zu haben, die voll und ganz an das Schreiben und die Kunst des anderen glaubt.)
Egal, ob die eine konzentrierter und die andere abschweifender arbeitet. In einem sind wir uns auf jeden Fall einig: der Schreibfluss hat immer Vorrang. Das haben Jen und ich damals ausgemacht, als wir ein Jahr zusammen gewohnt haben. Die Muse kommt in der bestimmten Form und dem genauen Satz nur einmal. Dann muss alles andere warten.

Cindy

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